We Went From Destruction

PENDLER – We Went From Destruction (2009)

 

Die spannendste Popmusik kommt hĂ€ufig von Musiker_Innen, deren Wurzeln ganz woanders liegen. Sabine Marte (SV Damenkraft), Markus Marte (Mose) und Oliver Stotz (Gustav & Band) hatten und haben nebst anderen musikalischen Projekten schon Standbeine als Video- und Performance-KĂŒnstlerin, Toningenieur bzw. Gitarrist, ehe sie sich 2005 zum Trio Pendler zusammentaten und damit begannen, eine eigene Spur zwischen Folk, Pop und Elektronik zu ziehen.

Mit „Black Neoprene“, einem der Höhepunkte auf ihrem an Glanzlichtern keineswegs armen zweiten Album „We Went From Destruction“, beweisen die drei Musiker_Innen, wie weit ihr Flirt mit dem Popsong – der wahrscheinlich weit mehr als einen Flirt, lĂ€ngst eine richtige Leidenschaft darstellt – schon gediehen ist. Sie sind aufgrund ihres Backgrounds allerdings zum GlĂŒck davor gefeit, in alte Popsong-Klischees zurĂŒckzufallen. Wer Pendler hört, muss kein persönliches Herzeleid der Macher ertragen, keine schlecht getarnten eigenen Erfahrungen in den Texten, keine lauwarmen GefĂŒhle. Pendler sind zu groß fĂŒr die Liebe. Oder?

Oder vielleicht gerade nicht. „I’m too huge for love“ lautet der große Satz dieser Platte. Der, der hĂ€ngen bleibt. Bei dem man nichts dagegen hĂ€tte, wenn ihn junge Leute auf T-Shirts vor sich her tragen wĂŒrden. Freilich: Wenn etwas so laut hinausposaunt wird, trifft wohl das Gegenteil mindestens genauso zu. Die Liebe ist, neben Furcht und Schrecken und anderen seelischen AusnahmezustĂ€nden, ein Thema, das sich durch die neun Songs zieht. Noch einmal das ergreifende „Black Neoprene“ (Text: Gerda Klingenböck), in dem ein Mann nach dem Sinken seines Schiffs um sein Leben schwimmt. Kein Land in Sicht, zieht er Bilanz: „I donÂŽt wail for my army / Those fine Spanish ships / Not the men not the failure / So naked and stripped / Cause without my bold ships / I will take to the stream / To remember your love / Nobody has seen.” Der Tod klopft schon an. Und wenn nicht der Gedanke an die Liebe, die nicht mehr sein soll, dann wĂ€rmt den Schwimmer sein Neoprenanzug: „There is nothing so bad / About black neoprene / It keeps you warm / When you have miles to swim.” GĂ€nsehaut.

Die Texte von Pendler sind bildreich, die KlĂ€nge fĂŒgen weitere Striche, Farben und Kontraste hinzu. Nicht von ungefĂ€hr bezeichnen Marte, Marte & Stotz die Videos zu ihren StĂŒcken als das vierte Bandmitglied. Wobei die Songs fĂŒr sich manchmal schon richtige Filme darstellen. Welche andere Gruppe kĂ€me auf die Idee, einen Song ĂŒber David Lynchs „Inland Empire“ zu schreiben und darin eine Art NacherzĂ€hlung der verwirrenden Filmbilder zu versuchen? Was allenfalls theoretisch interessant wĂ€re, wĂŒrde das StĂŒck nicht auch ohne erklĂ€rende Untertitel als rhythmisch delikater Electro-Dub einiges hermachen. Im daran anschließenden „One Step Away“ steigt die ErzĂ€hlerin dann selbst in den Film hinein: „I wanna walk into – into a horror film – and then I speak to him.“ Die Struktur des StĂŒcks folgt dabei den Bildern, eine Partyszene wird mit einem angedeuteten Funk-HipHop-Rhythmus unterlegt. Und wieder gilt: Es funktioniert auch, wenn man beim Hören nicht auf den Text und die interdisziplinĂ€ren Verweise und Anspielungen achtet.

Mehr davon hat bei Pendler jedoch zweifellos der, der genauer hinhört. Im finalen „We Went“ ĂŒberlĂ€sst das Trio die Vocals weitestgehend Schnippseln aus Filmen. Dem zugrunde liegt die Frage: Sind wir wirklich wir? Sind wir eine Band oder nicht doch eher aus 100.000 Ideen, EinflĂŒssen und gesehenen Bildern zusammengesetzt? „Who is you? / Who are we? / We gather around a microphone / Like having something in common.“ Diese SĂ€tze könnte so ĂŒbrigens auch die Log Lady in „Twin Peaks“ gesagt haben.

Die Musik von Pendler, ein experimenteller, eigenstĂ€ndiger, mal gemĂ€chlich fließender, mal sehr dynamischer Hybrid aus Folk, Pop und Elektronik ist schön anzuhören, fantastisch arrangiert von Oliver Stotz und so sicher in sich selbst ruhend, dass einem kaum eine „Klingt so Ă€hnlich wie…“-ReferenzkrĂŒcke einfallen will. Von „The Notwist“ vielleicht mal abgesehen, aber fĂŒr diesen Vergleich braucht sich nun wirklich niemand schĂ€men.

Genug der Worte. Schicke jemand diese Platte bitte schleunigst an David Lynch. Licht aus, Ton ab.

(Sebastian Fasthuber )